Management-Zusammenfassung dieses Beitrags:
Interviews sind die Standardmethode zur Ermittlung von Zielen und Anforderungen. Da sie grundsätzlich voraussetzungsfrei durchgeführt werden können, sind sie eine weit verbreitete Methode in verschiedenen Disziplinen wie dem → Projektmanagement oder dem → Requirements Engineering.
In diesem Beitrag werden einige Aspekte zu Interviews wiedergegeben.
1. Einleitung und Grundlagen
In der Wikipedia steht /#Wiki-Interview/:
“Ein Interview (‘ɪntɐvjuː) ist als Anglizismus im Journalismus eine Form der Befragung mit dem Ziel, persönliche Informationen, Sachverhalte oder Meinungen zu ermitteln.”
… und auch /#Wiki-Interview-Begriff/:Im BABOK /BBG17‑d/ steht zum Begriff Interview:
“Erhebungstechnik, bei der einzelne Personen oder Personengruppen mündlich zu bestimmten Sachverhalten befragt werden. Diese Befragung kann sowohl in einem formellen Rahmen als auch informell geschehen.”
Die Unterteilung der beiden Interview-Gebiete …
- Journalismus und
- Wissenschaft
ist für den in diesem Beitrag gewählten Rahmen wesentlich, denn es werden nur die Interviews im wissenschaftlichen Kontext betrachtet.
Abbildung 1.1: Interview-Gebiete
Bei den Interviews sollte beachtet werden, dass es drei verschiedene Interviewgegenstände geben kann (Abbildung 1.2):
- Person: Es darum, Informationen zu einer oder zu mehrere Personen zu erfassen
- Sache: Es darum, Informationen zu einer oder zu mehreren “Sache(n)” (Gegenständen, Prozessen, …) zu erfassen
- Meinung: Es werden Meinungen ermittelt
Abbildung 1.2: Interviewgegenstand
In Abbildung 1.3 sind die Beteiligten dargestellt. Der Interviewer stellt die Fragen, während der Interviewte auf die Fragen antwortet. Ein “Ausbrechen” aus dem Schema sollte in der Regel nur erfolgen, wenn alle (vorbereiteten) Fragen aus dem Fragenkatalog des Interviewers abgearbeitet sind.
Abbildung 1.3: Interviewbeteiligte
In diesem Beitrag werden Interviews als Teilgebiet des Requirements Engineerings gesehen. Daher kann der Fokus eingeschränkt werden (Abbildung 1.4); Nur die rot umrandeten Bereiche werden betrachtet.
Abbildung 1.4: Interviews: Gesamteinordnung
In Abbildung 1.4 werden Interviews auf Gespräche mit Einzelpersonen oder maximal zwei Personen eingeschränkt; Gruppen-Interviews kommen im Projekt- und Requirements-Engineering-Kontext eher selten zum Einsatz. Auf die Interviewform (Standardisiert, Halb-standardisiert, Nicht-standardisiert) wird in Kapitel 3 genauer eingegangen.
2. Einordnung und Einsatz
Interviews können in vielen Disziplinen eingesetzt werden. Im Projekt- und Produktentwicklungsumfeld dienen sie dazu, → Ziele oder Anforderungen zu ermitteln. Zudem müssen sie gemanagt werden und werden daher der Projektkommunikation / dem → Kommunikationsmanagement zugeordnet. Abbildung 2.1 verdeutlicht die Einordnung des Projektmanagements und des Requirements Engineerings.
Abbildung 2.1: Interviews im → Projektmanagement und Requirements Engineering
2.1 Interviews im Requirements Engineering
Interviews werden im Requirements-Engineering-Kontext mit Stakeholdern geführt. Dabei sollten vorbereitete Fragen mit in das Interview genommen werden – diese können ggf. auch vorab an die Interview-Teilnehmer verschickt werden. Die Ergebnisse des einzelnen Interviews werden protokolliert, zusammengefasst und später weiter verwertet.
Abbildung 2.2: Die Beteiligten bei Interviews im Unternehmenskontext
Interviews sind keine “Plauschrunden”, sondern dienen der gezielten Erfassung von Bedürfnissen. Daher sollten Interviews nur von erfahrenen Requirements Engineers durchgeführt werden.
Am Ende eines Interviews sollte der Interviewer dem → Stakeholder folgende drei Fragen stellen /Ebert19/:
- “Sind Sie der richtige Ansprechpartner?”
- “Welche anderen Personen sollte ich noch befragen?”
- “Haben Sie den Eindruck, ich habe vergessen, Sie noch etwas zu fragen?”
Interviews können in allen Phasen des REs durchgeführt werden.
3. Interviewformen
Folgende drei Interviewformen sind möglich (Abbildung 3.1):
- Standardisiert: Die Interviews folgen einem festen Schema und haben eine vorgegebene → Liste von Fragen
- Halb-standardisiert: Die Interviews haben einen Rahmen für die Gestaltung (Ablauf) und für den Inhalt
- Nicht-standardisiert: Es gibt keine Vorgaben für die Interviews
Abbildung 3.1: Interviewformen
In der nachfolgenden Tabelle werden die drei Interviewformen gegenübergestellt.
Merkmale | Standardisiertes Interview | Halb-standardisiertes Interview | Nicht-standardisiertes Interview |
---|---|---|---|
Anzahl der Fragen | Feststehend | Im Kern feststehend, freier Bereich | Frei (stichwortartiger Interview-Leitfaden) |
Inhalt der Fragen | Feststehend | Im Kern feststehend | Weitgehend frei |
Formulierung | Feststehend | Teils feststehend, teils frei | Frei |
Reihenfolge | Feststehend | Grundgerüst steht fest | Frei |
Antwortmöglichkeiten | Feststehend | Meist feststehend | Meist frei |
Anwendung / Inhalte | Quantitative bekannte Dimensionen Erhebung von Vorhandenem Rein rationale Ebene | Quantitative und qualitative, weitgehend bekannte Dimensionen Erhebung von Vorhandenem Vorwiegend rationale Ebene | Qualitative, weitgehend unbekannte Dimensionen Gewinnung neuer Aspekte Weitgehend emotionale Ebene |
Kreis der Befragten | Homogen | Weitgehend homogen | Heterogen |
Terminologie | Einheitlich | Weitgehend einheitlich | Uneinheitlich (nicht notwendig) |
Kenntnisse der Interviewer über … Interviewtechniken den Gegenstand des Interviews | Gering Gering | Mittel bis hoch Mittel bis hoch | Hoch Hoch |
Zusammenhang mit anderen Erhebungsverfahren | Entspricht weitgehend Fragebogen | Entspricht teilweise Fragebogen | Mögliche Vorstufe zum Fragebogen |
Tabelle 3.1: Interviewformen (Einteilung nach /Schmidt14/)
Je nach Interviewform ist der → Aufwand zur Vor- und Nachbereitung unterschiedlich (Abbildung 3.2). Bei standardisierten Interviews müssen eine oder mehrere Listen von Fragen vorab erstellt werden, dafür ist der Nachbereitungsaufwand gering, da nur die Antworten “zusammengetragen” werden müssen, ohne dass interpretiert werden muss. Bei den nicht-standardisierten Interviews verhält es sich genau anderes herum: Vorab müssen keine festen Fragen ausgearbeitet werden, dafür muss zum Abschluss intensiver ausgewertet werden.
Abbildung 3.2: Interviewformen und Aufwand für Interviews
4. Die drei Phasen eines Interviews
Ein Interview wird generell in die drei Phasen Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung unterteilt.
Rupp /Rupp14/ schreibt dazu:
“Das Interview teilt sich in die drei Phasen Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung. Jeder Phase die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, trägt erheblich dazu bei, das Interview und das daraus gewonnene Ergebnis zu verbessern. Genau dadurch unterscheidet es sich von einer Ad-hoc-Befragung, wie sie z.B. das Sprint-Team im Sprint-Planning-→ Meeting mit dem → Product Owner durchführt.”
Abbildung 4.1: Die drei Phasen eines Interviews
4.1 Die Vorbereitung
Zur Vorbereitung eines oder mehrerer Interviews muss ein Themen- oder Fragenkatalog erstellt werden. Der Inhalt des Fragenkatalogs ergibt sich aus den benötigten fachlichen Informationen, aus den Zielen des Auftraggebers und aus dem Vorwissen der Interviewten.
4.2 Die Durchführung
Die Durchführung macht in der Regel den Hauptteil der Interviews aus. Sie ist wiederum unterteilt in …
- Einleitung,
- Fragerunde und
- Abschluss.
In der Einleitung (“Interviewbeginn”) wird der Zweck des Interviews erläutert. Zudem wird der Ablauf beschrieben und darauf hingewiesen, was mit den Ergebnissen geschieht. Vertraulichkeitsaspekte (“wird nicht an Dritte weitergereicht”) werden ebenfalls thematisiert.
Die Fragerunde bildet den Hauptteil des Interviews. Es werden die Fragen → systematisch abgearbeitet und die Ergebnisse in Kurzform schriftlich fixiert.
Beim Abschluss (“Interviewende”) werden die Gesprächsinhalte (kurz) zusammengefasst und ggf. Rückfragen beantwortet. Ein formeller Abschluss mit Dank an die / den Interviewten schließt das Interview ab.
4.3 Die Nachbereitung
In der Nachbereitungsphase werden die Ergebnisse des Interviews zusammengefasst und — soweit vereinbart — den Interviewten zur Verfügung gestellt. Dabei ist zu beachten:
- Die Ergebnisse müssen so zusammengefasst werden, dass der Bezug zu den Fragen und Antworten hergestellt werden kann
- Die Darstellung der Ergebnisse sollte so erfolgen, dass diese von den Beteiligten auch verstanden wird
- Die Nachbereitung muss zeitnah erfolgen
- In der Regel muss kein Feedback eingefordert oder eingearbeitet werden
5. Checklisten zu den Interviews
Folgende Checkliste hilft dabei zu erkennen, ob ein Interview passend vorbereitet wurde und damit durchgeführt werden kann.
Abbildung 5.1: Checkliste: Ist das Interview passend vorbereitet?
6. Stärken und Schwächen von Interviews
Auch wenn Interview in fast allen Kontexten eingesetzt werden können, so sollten vorab deren Stärken und Schwächen und damit deren Grenzen bekannt sein.
Stärken:
- Interviews können schnell eingesetzt werden
- Als Hilfsmittel werden nur einfache Ressourcen benötigt
Schwächen:
- Ohne Vorbereitung können die Ergebnisse mangelhaft sein
- Es wird nur “bestehendes” Wissen abgefragt, Innovationen oder Begeisterungsfaktoren (die im → Kano-Modell wichtig sind) entstehen so selten
7. Häufig gestellte Fragen und Antworten (FAQ) zu Interviews
Einige Fragen zu Interviews werden häufig gestellt – diese werden hier wiedergegeben.
- F: Muss ich (als → Requirements Engineer / Interviewer) Interviews vorbereiten?
A: Ja. Dies ist sinnvoll, um eine Struktur zu erhalten. - F: Reichen Interviews zur vollständigen Bestimmung der Ziele und Anforderungen aus?
A: Dies kann bei kleineren Projekten / → Vorhaben ausreichend sein. Allerdings sollte auf eine entsprechende Nachbereitung der Interview-Ergebnisse nicht verzichtet werden. - F: Was ist der größte → Fehler bei der Interview-Durchführung?
A: In der Praxis wird häufig darauf verzichtet, den Interviewten das (Gesamt-)Ergebnis mitzuteilen. Ist dies bereits in der Unternehmenskultur verankert, führt das dazu, dass die Interviewten so antworten, dass für sie ein möglichst geringer Aufwand entsteht — es kommen dann häufig “einsilbige” oder inhaltsarme Antworten.
Haben Sie noch weitere Fragen oder möchten Sie Ergänzungen an der FAQ vornehmen? Am besten schreiben Sie mir hierzu eine E‑Mail an: kontakt@peterjohann-consulting.de.
A. Präsentationen, Literatur und Weblinks
A.1 Meine öffentliche Präsentation zu den Interviews
Auf Interviews wird kurz in meiner Präsentation zum Requirements Engineering eingegangen.
Inhalt | Typ |
---|---|
Requirements Engineering (und Business Analysis) – Eine Einführung (RE-Basispräsentation) |
A.2 Literatur
In folgenden Büchern werden als Teilaspekt Interviews erläutert:
- /BAPG15/ Project Management Institute: → Business Analysis For Practitioners: A Practice Guide, Project Management Institute, Philadelphia, Pennsylvania 2015, ISBN 978–1‑62825–069‑5
- /BBG15/ → IIBA: A Guide to the Business Analysis Body of Knowledge (BABOK Guide), International Institute of Business Analysis, Marietta, Georgia 3rd Edition 2015, ISBN 978–1‑927584–02‑6
- /Ebert19/ Christof Ebert: Systematisches Requirements Engineering. Anforderungen ermitteln, dokumentieren, analysieren und verwalten, dpunkt, Heidelberg 6. Auflage 2019, ISBN 978–3‑86490–562‑9
- /Fitzpatrick13/ Rob Fitzpatrick: The Mom Test: How to talk to customers & learn if your business is a good idea when everyone is lying to you, Createspace Independent Publishing Platform, North Charleston, South Carolina 2013, ISBN 978–1‑4921–8074‑6
- /Fitzpatrick16/ Rob Fitzpatrick: Der Mom Test: Wie Sie Kunden richtig interviewen und herausfinden, ob Ihre Geschäftsidee gut ist – auch wenn Sie dabei jeder anlügt, Createspace Independent Publishing Platform, Leipzig 2016, ISBN 978–1‑5336–9725‑7
- /Hruschka19/ Peter Hruschka: → Business Analysis und Requirements Engineering: Prozesse und Produkte nachhaltig verbessern, Hanser, München 2. Auflage 2019, ISBN 978–3‑446–45589‑4
- /Naumann18/ Axel-Bruno Naumann: Business-Analyse – Systematisches → Anforderungsmanagement für nutzerorientierte Lösungen, Dr. Götz Schmidt, Wettenberg 2018, ISBN 978–3‑945997–11‑6
- /Rupp14/ Chris Rupp: Requirements-Engineering und ‑Management. Aus der Praxis von klassisch bis agil, Hanser, München 6. Auflage 2014, ISBN 978–3‑446–43893‑4
- /Rupp20/ Chris Rupp: Requirements-Engineering und ‑Management. Das Handbuch für Anforderungen in jeder Situation, Hanser, München 7. Auflage 2020, ISBN 978–3‑446–45587‑0
- /Schmidt14/ Götz Schmidt: Organisation und Business Analysis – Methoden und Techniken, Dr. Götz Schmidt, Wettenberg 15. Auflage 2014, ISBN 978–3‑921313–93‑0
A.3 Weblinks
Auf folgende Weblinks zu Interviews wird hier Bezug genommen:
- /#Wiki-Befragung/ Befragung in der deutschen Wikipedia
- /#Wiki-Interview-Begriff/ Begriffsklärung zu Interview in der deutschen Wikipedia
- /#Wiki-Interview/ Interview in der deutschen Wikipedia
Legende zu den Weblinks
/ / Verweis auf eine Website (allgemein)
/*/ Verweis auf eine Website, die als Ergänzung zu einem Buch dient
/#/ Verweis auf ein einzelnes Thema auf einer Website
/#V/ Verweis auf ein Video auf einer Website
Letzte Aktualisierung: 02.04.2020 © Peterjohann Consulting, 2005–2024