Management-Zusammenfassung dieses Beitrags:
Die Nutzwertanalyse (engl. Utility Analysis) wird im → Projektmanagement dazu verwendet, Projektalternativen gegenüberzustellen, um so die “beste” Alternative benennen zu können.
In diesem Beitrag wird die Nutzwertanalyse beschrieben.
Bei der Nutzwertanalyse werden zwei (oder mehrere) Projekte oder Projektalternativen gegenübergestellt und ihr jeweiliger “Nutzwert” ermittelt. Die Kriterien, die zur Bewertung des Nutzens herangezogen werden, müssen hierzu vorab bestimmt und gewichtet worden sein.
Die Nutzwertanalyse wird häufig dann eingesetzt, wenn keine monetären Daten vorliegen oder wenn diese alleine nicht zur Bewertung ausreichen. Weitere typische Einsatzmöglichkeit außerhalb des Projektmanagements sind Lieferantenbewertungen oder Vergleiche zur Unterstützung von Kaufentscheidungen.
Die “Nutzwertanalyse” ist allgemein ein Teilgebiet des Controllings. Sie wird in diesem Beitrag aber dem → Projektmanagement zugeordnet.
1. Einleitung und Grundlagen
In der Wikipedia steht zur Nutzwertanalyse /#Wiki-Nutzwertanalyse/:
“Die Nutzwertanalyse (NWA; auch Punktwertverfahren, Punktbewertungsverfahren oder Scoring-Modell genannt) gehört zu den qualitativen, nicht-monetären Analysemethoden der Entscheidungstheorie. Die Nutzwertanalyse ist eine Methodik, die die Entscheidungsfindung bei komplexen Problemen rational unterstützen soll.”
Die Basis der Nutzwertanalyse sind die Nutzwertkriterien / Nutzenkriterien (oder kurz: Kriterien): Diese müssen vor der eigentlichen Durchführung vorliegen oder ermittelt werden. Die Ermittlung der Nutzwertkriterien ist häufig sehr zeitaufwendig. Zudem müssen die einzelnen Nutzwertkriterien gewichtet werden, was schwierig sein kann.
Anmerkung:
Wenn man sprachlich zwischen → Tätigkeit und Dokument unterscheiden möchte (siehe hierzu auch → Dokument oder Tätigkeit?), so können die Begriffe Nutzwertanalyse und Nutzwertstudie (oder Nutzwertanalyse-Studie) verwendet werden. In der Praxis wird jedoch auf diese Unterscheidung verzichtet und durchweg der Begriff Nutzwertanalyse verwendet.
Abbildung 1.1: Nutzwertanalyse und Nutzwertstudie
1.1 Durchführung der Nutzwertanalyse
Folgende Vorgehensweise bei der Durchführung der Nutzwertanalyse ist häufig in Projekten anzutreffen (siehe auch → Abbildungen 1.2 und 1.3):
- Vorweg: Eine → Liste mit (Bewertungs-)Kriterien und deren Gewichtung liegt vor. Die Summe aller Gewichte kann auf 100 (Prozent) normiert sein
- Die Kriterien der gegenübergestellten Alternativen werden bewertet (typische Skala: 1 bis 10). Zu allen Projekten und Kriterien liegen dann die Bewertungen vor
- Das Produkt aus Gewicht (G) und Bewertung (B) ergibt den Nutzwert. Dieser wird pro Kriterium ermittelt und in dem entsprechenden Feld eingetragen
- Die Summe aller Nutzwerte ergibt den Gesamtnutzwert eines Projekts
Abbildung 1.2: Durchführung der Nutzwertanalyse (Ablauf)
Abbildung 1.3: Durchführung der Nutzwertanalyse (schematisch)
1.2 Werteskalen für die Nutzwertanalyse
Eine übliche Werteskala für das Gewicht und die Bewertung ist in Abbildung 1.4 dargestellt. Der Wert Null kann nicht vorkommen, sodass der Nutzwert (als Produkt aus Gewicht und Bewertung) minimal 1 und maximal 100 werden kann.
Abbildung 1.4: Werteskala zur Nutzwertanalyse
Als Alternative kann für das Gewicht eine → Prozentskala angegeben werden. Die Summe der Gewichte ergibt dann 100 %, als Einzelschritte sind 1 % oder 5 % üblich. Zur Bewertung sind auch Schulnoten möglich, jedoch funktioniert dann die einfache Multiplikation (“Gewicht * Bewertung”) zur Ermittlung des Nutzwerts nicht mehr. Abbildung 1.5 fasst die Alternativen zusammen.
Abbildung 1.5: Verschiedene Werteskalen zur Nutzwertanalyse
Anmerkung: “Nicht bewertet” kommt bei allen Werteskalen nicht vor, da damit die einfache Berechnung nicht mehr möglich ist.
1.3 Quellen für die Kriterien
Die Erstellung der Kriterien ist nicht einfach. Hilfestellungen bieten die “typischen” Listen zur Risikobewertung, die in Kategorien unterteilt sind.
2. Beispiele
Die Nutzwertanalyse kann verschiedene Themen aus unterschiedlichen Themengebieten behandeln. In diesem Beitrag werden kurz vorgestellt:
- Die Bewertung von Projektalternativen: “Welches Projekt ist vorzuziehen — A oder B?”
- Die Bewertung von Kaufalternativen: “Was ist vorzuziehen: Der Kauf einer Wohnung oder eines Tiny Houses?”
2.1 Bewertung verschiedener Projektalternativen
Im Abbildung sind zwei Projekte A und B gegenübergestellt. Im Vorfeld wurden die Kriterien benannt und gewichtet. Diese sind:
- Kosten: Je geringer, umso besser
- Verfügbarkeit: Je höher, umso besser
- Statistische Auswertemöglichkeit: Je mehr vorhanden sind, umso besser
- Sicherheit und Virenschutz: Je stärker ausgeprägt, umso besser
- E‑Mail-Möglichkeiten: Je ausgefeilter, umso besser
In der eigentlichen Nutzwertanalyse wurden dann die einzelnen Kriterien bei den Projekten bewertet (= mit Punkten versehen) und abschließend die Bewertungspunkte summiert. In diesem Fall hat B mehr Punkte erhalten als A (84 gegenüber 81), also wäre die Realisierung des Projekts B nützlicher als die von A.
Abbildung 2.1: Beispiel einer Nutzwertanalyse: Erstellung einer neuen Website
In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, jede Bewertung einzeln zu begründen, um eine hohe → Nachvollziehbarkeit und Transparenz zu erreichen.
2.2 Kauf einer Wohnung oder eines Tiny Houses
In diesem Beispiel wird der Kauf einer Wohnung (in einem Mehrfamilienhaus) dem Kauf eines Tiny Houses gegenübergestellt. Als Kriterien werden verwendet:
- Erwerbskosten: Die Kosten des Erwerbs einer (bereits erstellten) Wohnung oder eines (bereits erstellten) Tiny Houses inklusive des Grundstücks; → Annahme hier: Das Grundstück für das Tiny House wird in diesem Modell nur gepachtet und nicht erworben
- Folgekosten (laufend): Laufende Kosten; bei dem Tiny House fallen in dem hier angenommenen Modell auch Pachtkosten kann; Achtung: Je höher die Kosten, desto niedriger die Bewertung
- Wohnfläche: Je größer die Wohnfläche, umso besser
- Umweltfreundlichkeit: Je stärker Umweltaspekte berücksichtigt sind, umso besser
- Ausstattung: Je besser die (mögliche) Ausstattung, umso größer der Nutzwert
- Familienfreundlichkeit: Je stärker die Familienfreundlichkeit berücksichtigt wird, umso größer der Nutzwert
- Prestige: Je größer das Prestige, umso besser
- Wiederverkaufswert: Je mehr Erlös bei einem Wiederverkauf erzielt werden kann, umso besser
Abbildung 2.2: Beispiel einer Nutzwertanalyse: Kauf von Wohnung oder Tiny House?
Das Ergebnis dieses Beispiels lautet:
Aufgrund des höheren Gesamtnutzwerts (260 gegenüber 229) ist der Kauf einer Wohnung dem Kauf eines Tiny Houses vorzuziehen.
An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, wie bereits durch die Auswahl / Festlegung der Kriterien eine Vorauswahl getroffen wird. Wird beispielsweise der Wiederverkaufswert nicht betrachtet, so sind die beiden Alternativen “Wohnung kaufen” oder “Tiny House kaufen” fast gleichauf.
3. Weiterverwendung der Nutzwertanalyse
Die Nutzwertanalyse kann als alleiniges Kriterium zur Auswahl einer Alternative herangezogen werden. Es kann jedoch auch eine Kostenanalyse hinzugezogen werden, um so den Gesamtwert den Kosten gegenüberzustellen — es ergibt sich dann ein Kostenwert pro Nutzwertpunkt.
Beispiel:
Der Vergleich von “Kauf von Wohnung oder Tiny House” ergibt für den Kauf der Wohnung einen höheren Gesamtnutzwert. Bezieht man jedoch die echten Kosten ein, so kann sich ein anderes Bild ergeben. In diesem Beispiel könnte man für den Wohnungskauf 200.000 € und für den Erwerb des Tiny House 100.000 € ansetzen (jeweils gerechnet für die ersten 10 Jahre). Berechnet man daraus den Kostenwert pro Nutzwertpunkt (gemäß der Formel Gesamtkosten / Gesamtnutzwert), so ergeben sich Kostenwerte von 769 (für die Wohnung) und 437 (für das Tiny House) (Abbildung 3.1). Hieraus lässt sich die Frage ableiten, ob es gewünscht ist: Einer Erhöhung des Gesamtnutzwerts um 14 % steht einer Erhöhung des Kostenwerts pro Nutzwertpunkt von 76 % gegenüber.
Abbildung 3.1: Kostenwert pro Nutzwertpunkt
4. Abschließende Bemerkungen zur Nutzwertanalyse
Folgende Bemerkungen sind für die Nutzwertanalyse zu beachten:
- Die konkrete Bewertung von Projekten / Projektalternativen kann entweder von Entscheidungsträgern, von Experten oder von einer Gruppe getroffen werden
- Monetäre Kriterien dürfen bei der Nutzwertanalyse verwendet werden; diese sollten aber nicht im Vordergrund stehen
- Die (Durchführung der) Nutzwertanalyse kann auch mit grafischen Methoden erfolgen
- Bevorzugt wird die Nutzwertanalyse mit einem Tabellenkalkulationsprogramm durchgeführt
- Die Nutzwertanalyse wird sowohl bei der → GPM /GPM19/ als auch beim → PMI /PBG17, PBG17‑d/ als eigenständige Methode genannt
- Die Nutzwertanalyse kann auch mit Zielwerten arbeiten: Ein Zielwert gibt einen minimalen Wert für ein Kriterium vor, der nicht unterschritten werden darf
- Generell ist die Nutzwertanalyse nur als ergänzende Methode zu sehen: Sie ist in der Regel für sich genommen nicht ausreichend. Entsprechend muss dies vorab auch den Beteiligten so kommuniziert werden
- Wenn man aussagefähige Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudien hat, kann in der Regel auf die Nutzwertanalyse verzichtet werden
A. Präsentationen, Literatur und Weblinks
Bezüge zur Nutzwertanalyse in Projekten finden sich auch in meinen folgenden → Präsentationen:
Diese Bücher beleuchten das Thema Nutzwertanalyse (im Projektkontext) etwas intensiver:
- /Andler15/ Nicolai Andler: Tools für Projektmanagement, Workshops und Consulting: Kompendium der wichtigsten Techniken und Methoden, Publicis Corporate Publishing, Erlangen 6. Auflage 2015, ISBN 978–3‑89578–453‑8
- /GPM19/ Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement: Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4), GPM, Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Nürnberg 2019, ISBN 978–3‑924841–77‑5
- /Patzak17/ Gerold Patzak, Günter Rattay: Projektmanagement. Projekte, Projektportfolios, Programme und projektorientierte Unternehmen, Linde, Wien 7. Auflage 2017, ISBN 978–3‑7143–0321‑6
- /PBG17/ Project Management Institute: A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK Guide), Project Management Institute, Philadelphia, Pennsylvania Sixth Edition 2017, ISBN 978–1‑62825–184‑5
- /PBG17‑d/ Project Management Institute: A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK Guide), Project Management Institute, Philadelphia, Pennsylvania Sechste Ausgabe 2017, ISBN 978–1‑62825–188‑3
- /Schmidt20/ Götz Schmidt: Organisation und → Business Analysis – Methoden und Techniken, Dr. Götz Schmidt, Wettenberg 16. Auflage 2020, ISBN 978–3‑945997–17‑8
Folgende Weblinks liefern weitere Informationen zur Nutzwertanalyse:
- /#Controlling-Wiki-Nutzwertanalyse/ Nutzwertanalyse im Controlling-Wiki
- /#Wiki-Nutzwertanalyse/ Nutzwertanalyse (engl. Cost–utility analysis (CUA)) in der deutschen Wikipedia
- /#Wiki-Nutzenversprechen/ Nutzenversprechen (engl. Value Proposition) in der deutschen Wikipedia
Legende zu den Weblinks
/ / Verweis auf eine Website (allgemein)
/*/ Verweis auf eine Website, die als Ergänzung zu einem Buch dient
/#/ Verweis auf ein einzelnes Thema auf einer Website
/#V/ Verweis auf ein Video auf einer Website
Letzte Aktualisierung: 06.12.2021 © Peterjohann Consulting, 2005–2024