Management-Zusammenfassung dieses Beitrags:
Es gibt eine Reihe von Ermittlungs- und Sammlungstechniken (Werkzeugen und Methoden zur Ermittlung von Anforderungen, Elicitation Tools and Techniques) für das → Requirements Engineering.
In diesem Beitrag werden die Ermittlungstechniken beschrieben.
Das → Ermitteln von Anforderungen beansprucht einen großen Anteil des Aufwands in Requirements-Engineering-Projekten. Je nach Aufgabenstellung und Ressourcenverfügbarkeit sollten daher passende Ermittlungstechniken eingesetzt werden, die vor dem eigentlichen Ermittlungsstart bestimmt werden. In diesem Beitrag werden die einzelnen Ermittlungstechniken benannt und eingeordnet, umso eine Auswahl für das jeweilige Requirements-Engineering-Projekt zu erlauben.
1. Einleitung und Grundlagen
Ermittlungstechniken kommen zum Einsatz, um Anforderungen passend zu ermitteln. Nach → IREB /IREB21/ können diese unterteilt werden in …
- Erhebungstechniken und
- Entwurfs- und Ideenfindungstechniken (Abbildung 1.1).
Die Erhebungstechniken haben wiederum vier Unterkategorien:
- Befragungstechniken mit den → Interviews und Fragenbogen
- Kollaborationstechniken mit Workshops und Crowd-basierten RE
- Beobachtungstechniken mit Feldbeobachtung und Apprenticing
- Artefaktebasierte Techniken mit Systemarchäologie, Feedbackanalyse und Wiederverwendung
Die Entwurfs- und Ideenfindungstechniken kennen zwei Unterkategorien:
- → Kreativitätstechniken mit → Brainstorming und Analogietechnik
- Designtechniken mit Prototypen sowie Szenarien und Storyboards
Abbildung 1.1: Ermittlungstechniken nach IREB im Überblick /#IREB-CPRE-FL-Handbuch-24/
Es gibt neben den in Abbildung 1.1 genannten Ermittlungstechniken weitere: Je nach Autor und → Standard werden finden sich bis zu 30 unterschiedliche Techniken. In der Praxis werden dann für den konkreten Einsatzfall die Techniken ausgewählt, die passend erscheinen; in der Regel sind dies nicht mehr als 10.
Das → IIBA benennt 17 Ermittlungstechniken, die bei → Business Analysis eingesetzt werden können (Abbildung 1.2). Besonderheiten sind hierbei:
- Elicitation Techniques wird mit Erhebungstechniken übersetzt, dies entspricht aber den Ermittlungstechniken nach IREB
- In der deutschen Fassung sind Brainstorming und Mind Mapping zusammengefasst
- Generell sind die Ermittlungstechniken nach IIBA stark an den Business Requirements ausgerichtet
Abbildung 1.2: Ermittlungstechniken nach IIBA im Überblick /BBG15, BBG17‑d/
1.1 Arten von Ermittlungstechniken
Ermittlungstechniken könnten beispielsweise auch folgenden Arten zugeordnet werden /Rupp14/:
- Traditionelle Techniken: Fragebögen, Interviews, Dokumentenanalyse (Handbücher, Beschwerdebögen), Beobachtungen
- Gruppenarbeit: Brainstorming, Fokusgruppen, Konsensbildung, Workshops, Rollenspiele
- Prototyping (Rapid Prototyping): Simulationsumgebung, Ablaufmodell, Benutzerschnittstelle
- Modelle: Szenarien, Bilder, Diagramme, Mind Maps
- Kognitive und diskursorientierte Verfahren: Analyse von Interviews oder Gruppendiskussion, um herauszufinden, ob an wichtigen Stellen Informationen verschleiert wurden
- Kontextstudien: Kulturelle Besonderheiten, Farben, Symbolik
2. Ermittlungstechniken in der Übersicht
Die nachfolgende Tabelle listet die wesentlichen Ermittlungstechniken in alphabetischer Reihenfolge auf.
Name | → Aufwand | Kategorisierung | Häufigkeit |
---|---|---|---|
Analogietechnik | Gering | Kreativ | |
Apprenticing | Mittel | Beobachtung | |
Brainstorming | Gering | Kreativ | Sehr hoch |
Crowd-basiertes RE | Hoch | Kollaboration | Gering |
→ Design Thinking | Hoch | Sonstige | Gering |
Dokumentenanalyse | - | → Artefakt | |
Feedbackanalyse | Gering | Artefakt | Gering bis mittel |
Feldbeobachtung | Gering | Beobachtung | Hoch |
Fragebogen | Mittel | Befragung | |
→ Interview | Mittel | Befragung | |
Prototyping | Hoch | Design | Mittel |
Storyboards | Mittel | Design | |
Szenarien | Mittel | Design | |
Systemarchäologie | Mittel | Artefakt | |
Wiederverwendung /Reuse | Mittel | Artefakt | |
Workshops | Mittel | Kollaboration | Hoch |
Weitere Ermittlungstechniken sind:
- Benchmarking
- Brainstormin paradox
- Fokusgruppen
- Kollaborative Spiele
- Kontextanalyse (Contextual Inquiry)
- Living Lab
- Marktanalysen / Marktstudien
- Methode 6–3‑5
- Perspektivenwechsel / Perspektivenbasiertes Lesen
- Reuse von Anforderungen
- Reverse Engineering
- Rollenspiele
- Schnittstellenanalyse
Als Unterstützungstechniken werden häufig genannt:
- Analyse der Geschäftsregeln
- Audio- und Videoaufzeichnungen
- CRC-Karten
- Mind-Mapping
- Prozessmodellierung
- → Use Cases (Use-Case-Modellierung)
3. Kategorisierungen der Ermittlungstechniken
Ermittlungstechniken können je nach Einsatzschwerpunkt unterschiedlich kategorisiert werden — es steht jedoch immer die Frage im Vordergrund:
Ist eine Ermittlungstechnik für das Ermitteln in einem spezifischen Requirements-Engineering-→ Vorhaben geeignet oder nicht?
In diesem Kapitel werden kurz beschrieben: Die Kategorisierung …
- mit → Kano-Faktoren
- aufgrund des Vorwissens
- aufgrund der Eignung zur Wissensgenerierung
- mit Betonung der → Stakeholder
- mit Erfassung der benötigten Skills (der Requirements Engineers)
3.1 Die Kategorisierung mit Kano-Faktoren
Abbildung 3.1 zeigt eine Übersicht von Ermittlungstechniken, bei der die drei Kano-Kategorien (Basis‑, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren) zugeordnet sind, so wie es bei IREB /IREB21/ vorgeschlagen wird.
Abbildung 3.1: Die Ermittlungstechniken nach IREB /IREB21/
3.2 Die Kategorisierung aufgrund des Vorwissens
Eine Zuordnung von Ermittlungstechniken zu dem Vorwissen (über die Anforderungen) der → Auftraggeber und Auftragnehmer liefert Ebert /Ebert22/ (Abbildung 3.2).
Abbildung 3.2: Zuordnung Ermittlungstechniken nach Ebert /Ebert22/
Die vier Quadranten können wie folgt charakterisiert werden:
- Dem Auftragnehmer sind diese Anforderungen bekannt, dem Auftraggeber nicht
- Sowohl dem Auftraggeber als auch dem Auftragnehmer sind diese Anforderungen unbekannt
- Dem Auftraggeber sind diese Anforderungen bekannt, dem Auftragnehmer nicht
- Sowohl dem Auftraggeber als auch dem Auftragnehmer sind diese Anforderungen bekannt
Somit können die im vierten Quadranten aufgeführten Techniken dann gut eingesetzt werden, wenn die Anforderungen sowohl dem Auftragnehmer als auch dem Auftraggeber bekannt sind. Ebert benennt zudem die Tätigkeitsschwerpunkte bei den einzelnen Quadranten (Abbildung 3.3). Dies sind:
- Beraten
- Innovieren
- Entwickeln
- Sammeln
Abbildung 3.3: Zuordnung Ermittlungstechniken mit Tätigkeitsschwerpunkten nach Ebert /Ebert22/
3.3 Die Kategorisierung aufgrund der Eignung zur Wissensgenerierung
Glinz /#Glinz-10/ erfasst in einer Tabelle die Eignung von Ermittlungstechniken zu verschiedenen Wissensarten (Abbildung 3.4). Dabei werden die Ermittlungstechniken den vier Arten …
- Wünsche ausdrücken,
- Möglichkeiten aufzeigen,
- Istzustand erheben und
- Marktpotenzial klären
gegenübergestellt.
Abbildung 3.4: Zuordnung Ermittlungstechniken nach Glinz /Glinz-11/
Die Bedeutung der drei Bewertungsstufen ist wie folgt (Abbildung 3.5):
- + = Ist besonders gut geeignet
- o = Ist neutral / kann eingesetzt werden
- - = Ist kaum geeignet
Abbildung 3.5: Bewertungsstufen für die Eignung der Ermittlungstechniken
3.4 Eine Kategorisierung mit Betonung der Stakeholder
Bei Winteroll /Winteroll21/ findet sich eine Übersicht der Ermittlungstechniken, die die Stakeholder besonders beachtet (Abbildung 3.6), indem Spalten zur Bewertung hinzugefügt werden, die sich auf Stakeholder beziehen.
Dies sind:
- Geeignet für viele Stakeholder
- (Geeignet für) verteilte Stakeholder
- Gemeinsam oder einzeln
Das Bewertungschema aus Abbildung 3.5 kann hier ebenfalls eingesetzt werden.
Abbildung 3.6: Zuordnung Ermittlungstechniken nach Winteroll /Winteroll21/
3.5 Eine Kategorisierung mit benötigten Skills
Gottesdiener /Got05/ hebt hervor, dass auch die benötigten Fähigkeiten eine Rolle bei der Auswahl der passenden Ermittlungstechnik spielt. In Abbildung 3.7 werden einige Techniken den notwendigen Skills / Fertigkeiten der Requirements Engineers gegenübergestellt.
Abbildung 3.7: Zuordnung der Ermittlungstechniken zu Skills nach Gottesdiener /Got05/
3.6 Eine Kategorisierung mit vielen Ausprägungen
Bei Rupp /Rupp20/ findet sich eine Übersicht mit 14 Kriterien, die wiederum Ausprägungen haben können (Abbildung 3.8) — es ergeben sich daraus 26 Einzelkriterien zur Einordnung und Bestimmung von Ermittlungstechniken.
Abbildung 3.8: Kriterien mit Ausprägungen zur Einordnung von Ermittlungstechniken nach Rupp /Rupp20/
Die detaillierte Zuordnungstabelle / Ermittlungstechnikenmatrix findet man zum Download unter /#Sophist-Ermittlungstechnikenmatrix-19/
4. Die Auswahl der passenden Ermittlungstechniken
Aus der Vielzahl der Ermittlungstechniken muss für das jeweilige Einzel-Vorhaben eine Auswahl getroffen werden, welche Ermittlungstechniken zum Einsatz kommen sollen — und zwar möglichst frühzeitig vor Beginn des Ermittelns. Dabei stehen die folgenden Aspekte im Vordergrund:
- Passen die Ermittlungstechniken zum Einsatzzweck?
- Gibt es ausreichend interne Ressourcen (Budget, Mitarbeiter) für den Einsatz?
- Gibt es genügend externe Ressourcen für die Umsetzung, ist Stakeholderverfügbarkeit gesichert?
Nach der Auswahl kann ein Einsatzplan aufgestellt werden, der den Umfang für das Ermitteln in einem RE-Vorhaben benennt.
A. Präsentationen, Literatur und Weblinks
A.1 Meine öffentliche Präsentationen mit Bezug zu den Ermittlungstechniken
Die RE-Basispräsentation gibt Ihnen einen ersten Einblick in die Ermittlungstechniken des Requirements Engineerings.
Inhalt | Typ |
---|---|
Requirements Engineering (und Business Analysis) – Eine Einführung (RE-Basispräsentation) |
A.2 Literatur
In folgenden Büchern werden als Teilaspekt Ermittlungstechniken erläutert:
- /BBG15/ IIBA: A Guide to the Business Analysis Body of Knowledge (BABOK Guide), International Institute of Business Analysis, Marietta, Georgia 3rd Edition 2015, ISBN 978–1‑927584–02‑6
- /BBG17‑d/ IIBA: BABOK v3: Leitfaden zur Business-Analyse BABOK Guide 3.0, Dr. Götz Schmidt, Wettenberg 2017, ISBN 978–3‑945997–03‑1
- /Ebert22/ Christof Ebert: Systematisches Requirements Engineering. Anforderungen ermitteln, dokumentieren, analysieren und verwalten, dpunkt, Heidelberg 7. Auflage 2022, ISBN 978–3‑86490–919‑1
- /Got05/ Ellen Gottesdiener: The Software Requirements Memory Jogger. A Pocket Guide to Help Software and Business → Teams Develop and Manage Requirements, Goal/QPC, Salem, New Hampshire 2005, ISBN 978–1‑57681–060‑6
- /IREB21/ siehe /Pohl21/
- /Pohl21/ auch /IREB21/ Klaus Pohl, Chris Rupp: Basiswissen Requirements Engineering: Aus- und Weiterbildung nach IREB-Standard zum Certified Professional for Requirements Engineering Foundation Level, dpunkt, Heidelberg 5. Auflage 2021, ISBN 978–3‑86490–814‑9
- /Rupp14/ Chris Rupp: Requirements-Engineering und ‑Management. Aus der Praxis von klassisch bis agil, Hanser, München 6. Auflage 2014, ISBN 978–3‑446–43893‑4
- /Rupp20/ Chris Rupp: Requirements-Engineering und ‑Management. Das Handbuch für Anforderungen in jeder Situation, Hanser, München 7. Auflage 2020, ISBN 978–3‑446–45587‑0
- /Winteroll21/ Marcus Winteroll: Requirements Engineering für Dummies, Wiley-VCH, Weinheim 2021, ISBN 978–3‑527–71635‑7
A.3 Weblinks
Auf folgende Weblinks zu Ermittlungstechniken wird hier Bezug genommen:
- /#Glinz-10/ Martin Glinz: Vorlesung zum Requirements Engineering I, Universität Zürich HS 2010, Kapitel 4: Anforderungsermittlung und ‑analyse (deutsch, pdf-Datei, 34 Seiten)
- /#IREB-CPRE-FL-Handbuch-24/ IREB – International Requirements Engineering Board: Handbuch für das CPRE Foundation Level nach dem IREB-Standard, Version 1.2.0 vom Mai 2024 (deutsch, pdf-Datei, 174 Seiten)
- /#Sophist-Ermittlungstechnikenmatrix-19/ Fa. Sophist: Ermittlungstechnikmatrix aus dem Jahr 2019, auch in /Rupp20/ zu finden (deutsch, pdf-Datei, 1 Seite)
Legende zu den Weblinks
/ / Verweis auf eine Website (allgemein)
/*/ Verweis auf eine Website, die als Ergänzung zu einem Buch dient
/#/ Verweis auf ein einzelnes Thema auf einer Website
/#V/ Verweis auf ein Video auf einer Website
Letzte Aktualisierung: 10.10.2024 © Peterjohann Consulting, 2005–2024