Management-Zusammenfassung dieses Beitrags:
Es gibt einige Merkregeln(-Sammlungen) zum → Requirements Engineering, die bei der Umsetzung von Requirements-Projekten beachtet werden sollten.
Einige dieser Merkregeln werden in diesem Beitrag vorgestellt.
Merkregeln helfen, wesentliche Aspekte eines Requirements-Projekts oder ‑Vorhabens zu berücksichtigen. Die Merkregeln können als Checkliste betrachtet werden.
Bei den Merkregeln wird häufig zwischen Erfolgsfaktoren (“das sollten Sie unbedingt beachten”) und Misserfolgsfaktoren (“wenn Sie dies tun, werden Sie Schwierigkeiten bekommen”) unterschieden (Abbildung 1).
Abbildung 1: Merkregeln für das Requirements Engineering: Unterteilung
In der Regel werden eher die Erfolgsfaktoren genannt.
1. Meine Merkregeln für das Requirements Engineering
Meine Merkregeln resultieren aus meinen Erfahrungen und den von mir gehaltenen Schulungen / Trainings zum Requirements Engineering.
- Requirements Engineering kostet Zeit und Geld: Dies muss Ihnen (und Ihren Geldgebern) bewusst sein, wenn Sie professionelles Requirements Engineering etablieren. Erstellen Sie (als Requirements-Verantwortlicher) ein Mengen‑, Zeit- und Kostengerüst und versuchen Sie einen Sponsor aus dem Management zu finden, der Sie bei der Einführung unterstützt
- ABC — “Allocation Before Commitment” — “Erst zuordnen, dann zustimmen”: Ordnen Sie die Anforderungen erst einem Bereich zu, bevor Sie eine Zusage zur Umsetzung geben
- Beachten Sie “die Flughöhe”: Es macht einen großen Unterschied, ob Sie Anforderungen für die Business-Ebene oder für die technische Ebene entwickeln müssen
- “Requirements Engineering endet nie”: Requirements Engineering ist eine kontinuierliche Aufgabe und ein Requirements-Projekt endet erst, wenn das betrachtete Objekt (Produkt oder Dienstleistung) aus dem Markt genommen wird
- Requirements Engineering geschieht immer in einem Kontext: Hinterfragen Sie daher frühzeitig, warum Requirements Engineering betrieben werden soll und ob der → Aufwand / die Kosten für das Requirements Engineering gerechtfertigt ist, es also eine Wertschöpfung aus dem Requirements Engineering erfolgt
2. Merkregeln anderer Autoren
In einigen Büchern / von einigen Autoren gibt es Merkregeln zum Requirements Engineering. Hier sind einige davon aufgeführt.
2.1 Die neun Prinzipien nach IREB
Das → IREB – International Requirements Engineering Board — benennt neun Prinzipien für das (gute) Requirements Engineering /IREB-24/:
- Wertorientierung: Anforderungen sind Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck
- → Stakeholder: Im RE geht es darum, die Wünsche und Bedürfnisse der Stakeholder zu befriedigen
- Gemeinsames Verständnis: Erfolgreiche Systementwicklung ist ohne eine gemeinsame Basis nicht möglich
- Kontext: Systeme können nicht isoliert verstanden werden
- → Problem – Anforderung – Lösung: Ein unausweichlich ineinandergreifendes Tripel
- Validierung: Nicht-validierte Anforderungen sind nutzlos
- → Evolution: Sich ändernde Anforderungen sind kein Unfall, sondern der Normalfall
- Innovation: Mehr vom Gleichen ist nicht genug
- Systematische und disziplinierte Arbeit: Wir können im RE nicht darauf verzichten
2.2 Die Top-10-Tipps nach Ebert
Ebert /Ebert19/ benennt folgende Top-10-Tipps zum Requirements Engineering:
- Arbeiten Sie professionell bei allem, was Sie tun
- Schaffen Sie klare Verantwortungen für Ergebnisse
- Verwenden Sie standardisierte → Vorlagen
- Schaffen sie Wert: “Wow” statt unnötiger Funktionen
- Skalieren Sie agile Techniken für Ihre Umgebung
- Good enough: Liefern Sie hinreichend gute → Qualität
- ABC: Entwickeln Sie nur vereinbarte Anforderungen
- Verfolgen Sie den Status der Anforderungen
- Liefern Sie → inkrementell mit priorisierten Anforderungen
- Lernen Sie von anderen und verbessern Sie sich messbar
Anmerkung:
Die ABC-Regel bedeutet “Allocation Before Commitment”: Wenn Anforderungen auftauchen, sollte der → Requirements Engineer diese erst einem Kontext zuordnen, bevor eine Umsetzungszusage erfolgt.
In der 7. Auflage des Buchs von Ebert /Ebert22/ wurden einige Tipps ersetzt.
Nun werden als Top-10-Tipps genannt:
- Professionalität: Arbeiten Sie professionell bei allem, was Sie anpacken. Halten Sie Ihre Verpflichtungen ein und liefern Sie Qualität
- → Ziele: “Begin with the end in mind.” Setzen Sie herausfordernde Ziele und liefern Sie messbare Ergebnisse
- Verantwortung: Schaffen Sie klare Verantwortungen mit Geschäftsnutzen. Keine komplexen Verantwortungstabellen, sondern verlässliche Abstimmungen
- → Effizienz: Verwenden Sie Standards und Vorlagen. “First time right”
- Wertorientierung: Schaffen Sie Wert. “Wow” statt unnötiger Funktionen
- RACE: Reduce Accidents, Control Essence: Die → Produktivität wird verbessert, wenn Unfälle, → Fehler und unnötige Änderungen verringert werden und das Wesentliche kontrolliert geliefert wird. Das Ebert-Gesetz fokussiert auf Wert statt → Komplexität
- Agilität: Liefern Sie hinreichend gute Qualität. Skalieren Sie agile Techniken für Ihre Umgebung. Arbeiten Sie inkrementell mit priorisierten Anforderungen
- → Risikomanagement: Verfolgen Sie die Anforderungen im Projekt und Produkt. Entwickeln Sie nur vereinbarte Anforderungen
- Win-win: Ändern Sie die Perspektive: Der andere könnte recht haben. Suchen Sie nach Lösungen, die beiden Parteien helfen
- Lernen: Seien Sie niemals zufrieden. Bleiben Sie ehrgeizig und probieren Sie neue Dinge. Lernen Sie von anderen. Verbessern Sie sich ständig
2.3 Die zehn Prinzipien des Requirements Engineerings nach Winteroll
Winteroll /Winteroll21/ listet zehn Prinzipien zum Requirements Engineering auf, die auf den neun Prinzipien des IREB-Lehrplans /IREB-24/ basieren:
- Zusammenarbeit: Requirements Engineering allein funktioniert nicht
- Wertorientierung: Anforderungen sind kein Selbstzweck
- Stakeholder: Es geht darum, ihren Bedarf zu erfüllen
- Gemeinsames Verständnis: Die Basis für erfolgreiche Systementwicklung
- Kontext: Notwendig, um Systeme zu verstehen
- Problem, Anforderung, Lösung: Eine untrennbare Verbindung
- Validierung: Ungeprüfte Anforderungen sind nutzlos
- Evolution: Änderungen sind normal
- Innovation: Mehr vom Gleichen reicht nicht
- Systematische und disziplinierte Arbeit: Ohne geht es nicht
2.4 Zehn wichtige Ratschläge zur erfolgreichen Anforderungsermittlung nach Sommerville
Sommerville /Sommerville97/ gibt zehn Ratschläge zur erfolgreichen → Anforderungsermittlung, die dann zu einem guten Anforderungsdokument führen:
- Definiere eine → Standard-Gliederung für das Dokument
- Gestalte das Dokument änderungsfreundlich
- Gib jeder Anforderung eine eindeutige Bezeichnung
- Definiere eine Vorgehensweise bei Änderung der Anforderungen
- Definiere Standard-Vorlagen für die Beschreibung von Einzelanforderungen
- Verwende eine einfache, konsistente und knappe Sprache
- Organisiere formelle Begutachtungen der Anforderungen
- Definiere → Checklisten für die Begutachtung von Anforderungen
- Benutze Checklisten zur Anforderungsanalyse
- Rechne von vornherein mit Konflikten und plane die Konfliktauflösung
2.5 Die 16 Lektionen zum Requirements Engineering nach Wiegers
Wiegers /Wiegers21/ benennt 16 Lessons / Lektionen zum Requirements Engineering, die auf seiner langen Erfahrung als Requirements Engineer beruhen:
- If you don’t get the requirements right, it doesn’t matter how well you execute the rest of the project
- The key deliverables from requirements development are a shared → vision and understanding
- Nowhere more than in the requirements do the interests of all the stakeholders intersect
- A usage-centric approach to requirements will meet customer needs better than a → feature-centric approach
- Requirements development demands iteration
- Agile requirements aren’t different from other requirements
- The cost of recording knowledge is small compared to the cost of acquiring knowledge
- The overarching objective of requirements development is clear and effective communication
- Requirements quality is in the eye of the beholder
- Requirements must be good enough to let construction proceed at an acceptable level of risk
- People don’t simply gather requirements
- Requirements elicitation must bring the customer’s voice close to the developer’s ear
- Two commonly used requirements elicitation practices are telepathy and clearvoyance. They don’t work
- A large group of people can’t agree to leave a burning room, let alone agree on exactly how to word some requirement
- Avoid decibel prioritization when deciding which features to include
- Without a documented and agreed-to project scope, how do you know whether your scope is creeping?
Die deutsche Übersetzung der 16 Lektionen stammt von mir:
- Wenn Sie die Anforderungen nicht richtig erfüllen, spielt es keine Rolle, wie gut Sie den Rest des Projekts durchführen
- Die wichtigsten Ergebnisse der Anforderungsentwicklung sind eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Verständnis
- Nirgendwo sonst als bei den Anforderungen überschneiden sich die Interessen aller Beteiligten
- Ein nutzungsorientierter Ansatz für die Anforderungen wird den Kundenbedürfnissen besser gerecht als ein feature-orientierter Ansatz
- Anforderungsentwicklung erfordert Iteration
- Agile Anforderungen sind nicht anders als andere Anforderungen
- Die Kosten für die Aufzeichnung von Wissen sind gering im Vergleich zu den Kosten für den Erwerb von Wissen
- Das übergreifende Ziel der Anforderungsentwicklung ist eine klare und effektive Kommunikation
- Die Qualität der Anforderungen liegt im Auge des Betrachters
- Die Anforderungen müssen so gut sein, dass die Konstruktion / Umsetzung mit einem akzeptablen Risiko durchgeführt werden kann
- Menschen sammeln nicht einfach Anforderungen
- Die Anforderungserhebung muss die Stimme des Kunden nahe an das Ohr des Entwicklers bringen
- Zwei häufig verwendete Methoden zur Anforderungserhebung sind Telepathie und Hellsehen. Sie funktionieren nicht
- Eine große Gruppe von Menschen kann sich nicht darauf einigen, einen brennenden Raum zu verlassen, geschweige denn, sich auf den genauen Wortlaut einer Anforderung zu einigen
- Vermeiden Sie eine “→ Priorisierung nach Lautstärke”, wenn Sie entscheiden, welche Funktionen aufgenommen werden sollen
- Wie können Sie ohne einen dokumentierten und vereinbarten Projektumfang wissen, ob sich Ihr Umfang schleichend verändert?
2.6 Die 20 Praktiken im Requirements Engineerings nach Wiegers
Wiegers benennt /Wiegers23/ 20 Praktiken, die beim Requirements Engineering beachtet werden sollen. Diese Praktiken ordnet er sechs Teilprozessen zu.
Laying the Foundation
Practice #1. Understand the problem before converging on a solution.
Practice #2. Define business objectives.
Practice #3. Define the solution’s boundaries.
Practice #4. Identify and characterize stakeholders.
Practice #5. Identify empowered decision makers.
Requirements Elicitation
Practice #6. Understand what users need to do with the solution.
Practice #7. Identify events and responses.
Practice #8. Assess data concepts and relationships.
Practice #9. Elicit and evaluate quality attributes.
Requirements Analysis
Practice #10. Analyze requirements and requirement sets.
Practice #11. Create requirements models.
Practice #12. Create and evaluate prototypes.
Practice #13. Prioritize the requirements.
Requirements Specification
Practice #14. Write requirements in consistent ways.
Practice #15. Organize requirements in a structured fashion.
Practice #16. Identify and document business rules.
Practice #17. Create a glossary.
Requirements Validation
Practice #18. → Review and test the requirements.
→ Requirements Management
Practice #19. Establish and manage requirements baselines.
Practice #20. Manage changes to requirements effectively.
Die deutsche Übersetzung der 20 Praktiken stammt von mir:
Legen der Grundlagen
→ Praktik #1. Verstehen Sie das Problem, bevor Sie sich einer Lösung nähern.
Praktik #2. Definieren Sie die Unternehmensziele.
Praktik #3. Definieren Sie die Grenzen der Lösung.
Praktik #4. Identifizieren und charakterisieren Sie die Stakeholder.
Praktik #5. Identifizieren Sie befähigte Entscheidungsträger.
Requirements Elicitation
Praktik #6. Verstehen Sie, was die Benutzer mit der Lösung tun müssen.
Praktik #7. Identifizieren Sie Ereignisse und Reaktionen.
Praktik #8. Bewerten Sie Datenkonzepte und ‑beziehungen.
Praktik #9. Erfassen und bewerten Sie Qualitätsmerkmale.
Requirements Analysis
Praktik #10. Analysieren Sie Anforderungen und Anforderungssätze.
Praktik #11. Erstellen Sie Anforderungsmodelle.
Praktik #12. Erstellen und bewerten Sie Prototypen.
Praktik #13. → Priorisieren Sie die Anforderungen.
Requirements Specification
Praktik #14. Schreiben Sie Anforderungen auf konsistente Weise.
Praktik #15. Organisieren Sie Anforderungen in einer strukturierten Weise.
Praktik #16. Identifizieren und dokumentieren Sie Geschäftsregeln.
Praktik #17. Erstellen Sie ein Glossars.
Requirements Validation
Praktik #18. → Prüfen und → testen Sie die Anforderungen.
Requirements Management
Praktik #19. Erstellen und Verwalten Sie Baselines von Anforderungen.
Praktik #20. Gehen Sie → effizient mit Änderungen an den Anforderungen um.
A. Präsentationen, Literatur und Weblinks
A.1 Präsentationen
- -
A.2 Literatur
- /Ebert19/ Christof Ebert: Systematisches Requirements Engineering. Anforderungen ermitteln, dokumentieren, analysieren und verwalten, dpunkt, Heidelberg 6. Auflage 2019, ISBN 978–3‑86490–562‑9
- /Ebert22/ Christof Ebert: Systematisches Requirements Engineering. Anforderungen ermitteln, dokumentieren, analysieren und verwalten, dpunkt, Heidelberg 7. Auflage 2022, ISBN 978–3‑86490–919‑1
- /Hruschka19/ Peter Hruschka: → Business Analysis und Requirements Engineering. Prozesse und Produkte nachhaltig verbessern, Hanser, München 2. Auflage 2019, ISBN 978–3‑446–45589‑4
- /Rupp20/ Chris Rupp: Requirements-Engineering und ‑Management. Das Handbuch für Anforderungen in jeder Situation, Hanser, München 7. Auflage 2020, ISBN 978–3‑446–45587‑0
- /Sommerville97/ Ian Sommerville, Pete Sawyer: Requirements Engineering. A → Good Practice Guide, John Wiley & Sons, Hoboken, New Jersey 1997, ISBN 978–0‑471–97444‑4
- /Wiegers21/ Karl Wiegers: Software Development Pearls. Lessons from Fifty Years of Software Experience, Addison-Wesley Professional, Boston, Massachusetts 2021, ISBN 978–0‑13–748777‑6
- /Wiegers23/ Karl Wiegers, Candase Hokanson: Software Requirements Essentials. Core Practices for Successful Business Analysis, Addison-Wesley Professional, Boston, Massachusetts 2023, ISBN 978–0‑13–819028‑6
- /Winteroll21/ Marcus Winteroll: Requirements Engineering für Dummies, Wiley-VCH, Weinheim 2021, ISBN 978–3‑527–71635‑7
A.3 Weblinks
- /IREB/ IREB – International Requirements Engineering Board: Website (deutsche Fassung)
- /IREB-24/, /#IREB-24/, /#IREB-CPRE-FL-24/ IREB – International Requirements Engineering Board: Lehrplan / Syllabus zum CPRE-FL, Version 3.2.0 vom Februar 2024 (deutsch, pdf-Datei, 51 Seiten)
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Letzte Aktualisierung: 26.09.2024 © Peterjohann Consulting, 2005–2024