Management-Zusammenfassung dieses Beitrags:
Unter “Agiles → Schätzen” (engl. Agile Estimation) wird eine Reihe von → Schätzmethoden verstanden, die ihren Ursprung in der agilen → Softwareentwicklung haben, inzwischen aber auch in anderen Kontexten eingesetzt werden. Beim Agilen Schätzen werden Anforderungen, die typischerweise in Form von → User Stories erfasst wurden, abgeschätzt.
In diesem Beitrag wird das “Agile Schätzen” beschrieben.
Agiles Schätzen kann als Spielart des Schätzens gesehen werden und steht damit gleichrangig neben dem klassischen Schätzen (Abbildung 0.1).
Abbildung 0.1: Klassisches und Agiles Schätzen
1. Einleitung und Grundlagen
Das Schätzen ist ein Kommunikationsmittel, um bei Agiler Vorgehensweise Anforderungen / User Stories abzuschätzen.
1.1 Wer schätzt?
Im Agilen Kontext schätzt das “Team” — hierunter werden insbesondere die Entwickler wie auch der → Product Owner verstanden.
1.2 Wann wird geschätzt?
Schätzungen erfolgen im Schätzmeeting (Estimation → Meeting), welches in fester Taktung in einem Sprint stattfindet.
1.3 Was wird geschätzt?
User Stories können geschätzt werden nach:
- → Komplexität
- Risiko
- (→ Aufwand)
- …
1.4 Die Maßeinheit der Schätzungen
Story Points sind ein Schätzmaß für die Größe einer → User Story. Üblicherweise werden Story Points nicht in absoluten Größen angegeben, sondern in einem relativen Maß.
“Story Points sind eine Einheit, die die Größe einer User Story beschreiben.”
User Stories sollten so groß sein, dass sie innerhalb eines Sprints umgesetzt werden können, d.h. innerhalb von ein bis vier Wochen. Wenn also eine User Story eine Story Point Größe hat, die es nicht mehr erlaubt, die User Story in einem Sprint zu bearbeiten, so muss sie unterteilt / “geschnitten” werden.
Häufig werden auch T‑Shirt-Größen zur Größenangabe eingesetzt. Dabei werden (zumindest) die T‑Shirt-Größen S, M, L und XL verwendet.
1.5 Merkregeln zum Agilen Schätzen
Folgenden Sprüche und Merkregeln gelten für das Agile Schätzen:
- “Das Schätzen ist wertvoll, die → Schätzung nicht” (Mike Cohn?)
- “Eine Schätzung ist gut, wenn sie nicht mehr als um 50 % abweicht”
2. Methoden
Folgende Methoden werden beim Schätzen in agilen Vorgehen angewandt:
- Planning Poker
- Magic Estimation
- Bucket Estimation
- Affinity Estimation
2.1 Planning Poker
Planning Poker (Schätzpoker) ist eine Schätzmethode zum Abschätzen einzelner User Stories, die das ganze Team einbezieht. Hierzu wird ein Schätzmeeting durchgeführt, bei dem jedes Teammitglied ein Kartenset mit 13 Karten erhält (mit aufgedruckten Werten von 0 bis 100, zudem noch das Fragezeichen und die Kaffeetasse) und pro User Story eine Bewertung abgibt.
Abbildung 2.1: Ein Planning-Poker-Kartenset
Die Story Points werden in relativen Maßen angegeben — die Bedeutung der einzelnen Werte ist in Abbildung 2.2 wiedergegeben.
Abbildung 2.2: Ein Planning-Poker-Kartenset: Bedeutung der einzelnen Werte
Es wird beim Schätzmeeting (Estimation Meeting) eine Tischrunde gebildet, an dem alle Teammitglieder sitzen. Jedes Teammitglied verfügt über ein Planning-Poker-Kartenset.
Nun wird die zu schätzende User Story in die Tischmitte gelegt und kurz (durch den Product Owner) erläutert. Dann gibt jedes Teammitglied eine Schätzung ab, indem eine verdeckte Karte mit dem geschätzten Wert auf den Tisch gelegt wird. Haben alle Teammitglieder ihre Schätzung abgegeben, werden alle Karten gleichzeitig aufgedeckt.
Nach dem Aufdecken der Karten wird geschaut, ob große Abweichungen in der Einschätzung vorhanden sind. Wenn nicht, so wird der häufigste Schätzwert übernommen und auf die Story Card eingetragen. Sind aber erhebliche Unterschiede zu erkennen, so muss über diese unterschiedlichen Bewertungen diskutiert werden. Bei großen Abweichungen kann nach der Diskussion eine erneute Schätzung (in einer weiteren Schätzrunde) vorgenommen werden, sodass ein abschließender Wert ermittelt werden kann.
2.2 Magic Estimation
Magic Estimation ist eine weitere Schätzmethode in der agilen Welt, die sich neben dem Planning Poker etabliert hat. Sie dient insbesondere dazu, größere Backlogs abzuschätzen, da es eine schnell durchführbare Methode ist und somit viele → Backlog Items in kurzer Zeit abgeschätzt werden können.
Die Durchführung ist ähnlich wie beim Planning Poker: Es werden User Stories von den Teammitgliedern in einem Schätzmeeting abgeschätzt.
In dem Schätzmeeting werden die abzuschätzenden User Stories durch den Product Owner vorgestellt und jede User Story an ein einzelnes Teammitglied weitergereicht. Wenn alle User Stories (gleichmäßig) verteilt sind, beginnt jedes Teammitglied mit der Abschätzung.
Hierzu werden die Story Cards (User Stories) in ein Raster (Story Points in einer Skala, vergleiche Planning Poker) eingeordnet, welches typischerweise auf dem Fußboden oder an Flipcharts untergebracht ist.
Abbildung 2.3: Magic Estimation: Bewertungsschema
Nun wird das Team aktiv: Jedes Teammitglied überprüft, ob es den einzelnen Abschätzungen zustimmt. Stories mit abweichender Schätzung werden herausgenommen (“herausgeschoben”), anschließend im gesamten Team diskutiert und erneut zugeordnet.
Es gilt dabei zu beachten (“Spielregeln”):
- Während des Zuordnens darf nicht miteinander gesprochen werden
- Jedes Teammitglied darf die User Stories so oft verschieben, wie es möchte
- Die größte Zahl (oder das ?) wird dafür genutzt, um nicht-verständliche / nicht-abschätzbare User Stories zu markieren
2.3 Bucket Estimation
Die Bucket Estimation ähnelt der Magic Estimation sehr stark: Es werden Eimer (Buckets) mit unterschiedlichen Bewertungen aufgestellt und die Teammitglieder ordnen die User Stories den Eimern zu.
2.4 Affinity Estimation
Bei der Affinity Estimation (Affinitätsschätzung) werden Schätzungen auf Basis bereits gemachter Erfahrungen vorgenommen.
2.5 Weitere agile Schätzverfahren
Es gibt weitere agile Schätzverfahren, die in diesem Beitrag aber nicht beschrieben werden — diese sind:
- Wall Estimation: Dies ist im → Prinzip die Magic Estimation
- Team Estimation Game: Das Abschätzen erfolgt auf Basis von User Stories, die einzeln nacheinander durch Teammitglieder gezogen und dann (vergleichend) abgeschätzt werden
- Fibonacci Estimation / Fibonacci-Schätzung: Dies ist ein andere Begriff für das Planning Poker
3. Der Umgang mit den Schätzergebnissen
Wenn die Schätzergebnisse da sind, …
- dienen sie als Basis für die Auswahl des nächsten Sprint Backlogs.
- sollten sie nicht zur Aufwands- oder Kostenermittlung herangezogen werden.
Merkregeln:
- Pro Sprint nur eine (begrenzte Anzahl) Story mit hohem Risiko nehmen
- Anzeichen, dass etwas schiefgelaufen ist: Story Points mit Komma (z.B. als empirisches Maß)
4. Häufig gestellte Fragen und Antworten (FAQ) zum Agilen Schätzen
Einige Fragen zum Agilen Schätzen werden häufig gestellt – diese werden hier wiedergegeben.
- F: Welche Methode für das Agile Schätzen ist die beste?
A: Hierzu gibt es keine eindeutige Antwort. - F: Kann man auf das Agile Schätzen verzichten?
A: Überraschenderweise lautet die Antwort: Ja. Es gibt den “No-Estimates”-Ansatz, der sich damit beschäftigt, warum auf Schätzungen (im agilen Kontext) verzichtet werden kann.
Haben Sie noch weitere Fragen oder möchten Sie Ergänzungen an der FAQ vornehmen? Am besten schreiben Sie mir hierzu eine E‑Mail an: kontakt@peterjohann-consulting.de.
A. Präsentationen, Literatur und Weblinks
A.1 Meine Präsentationen
Die Beschreibung des Agile Schätzens ist in Teilen in meiner Präsentation zum Agilen → Requirements Engineering (ARE) enthalten. Diese kann hier heruntergeladen werden.
Inhalt | Typ |
---|---|
Agilität: Agiles Requirements Engineering – Eine Übersicht |
A.2 Literatur
In folgenden Büchern wird als Aspekt das Agile Requirements Engineering erläutert:
- /Adzic11/ Gojko Adzic: Specification by Example How Successful → Teams Deliver the Right Software, Manning Publications, Greenwich, Connecticut 2011, ISBN 978–1‑61729–008‑4
- /Adzic12/ Gojko Adzic: Impact Mapping. Making a Big Impact with Software Products and Projects, Provoking Thoughts, Woking, Great Britain 2012, ISBN 978–0‑9556836–4‑0
- /Adzic14/ Gojko Adzic, David Evans: Fifty Quick Ideas to Improve Your User Stories, Neuri Consulting, London 2014, ISBN 978–0‑9930881–0‑0
- /BBG15/ → IIBA: A Guide to the → Business Analysis Body of Knowledge (BABOK Guide), International Institute of Business Analysis, Marietta, Georgia 3rd Edition 2015, ISBN 978–1‑927584–02‑6
- /BBG17‑d/ IIBA: BABOK v3: Leitfaden zur Business-Analyse BABOK Guide 3.0, Dr. Götz Schmidt, Wettenberg 2017, ISBN 978–3‑945997–03‑1
- /Cohn04/ Mike Cohn: User Stories Applied. For Agile Software Development, Addison-Wesley Longman, Amsterdam 2004, ISBN 978–0‑321–20568‑1
- /Cohn05/ Mike Cohn: Agile Estimating and Planning, Prentice Hall International, Upper Saddle River, New Jersey 2005, ISBN 978–0‑13–147941‑8
- /Cohn09/ Mike Cohn: Succeeding with Agile. Software Development Using → Scrum, Addison-Wesley Longman, Amsterdam 2009, ISBN 978–0‑321–57936‑2
- /Cohn10/ Mike Cohn: User Stories. Für die agile Software-Entwicklung mit Scrum, XP u.a., mitp, Bonn 2010, ISBN 978–3‑8266–5898‑3
- /Ebert19/ Christof Ebert: Systematisches Requirements Engineering. Anforderungen ermitteln, dokumentieren, analysieren und verwalten, dpunkt, Heidelberg 6. Auflage 2019, ISBN 978–3‑86490–562‑9
- /Gloger14/ Boris Gloger: Wie schätzt man in agilen Projekten – oder wieso Scrum-Projekte erfolgreicher sind, Hanser, München 2014, ISBN 978–3‑446–43910‑8
- /Gloger16/ Boris Gloger: Scrum. Produkte zuverlässig und schnell entwickeln, Hanser, München 5. Auflage 2016, ISBN 978–3‑446–44723‑3
- /Girvan17/ Lynda Girvan, Debra Paul: Agile and Business Analysis. Practical Guidance for IT Professionals, BCS, The Chartered Institute for IT, London 2017, ISBN 978–1‑78017–322‑1
- /Hruschka19/ Peter Hruschka: → Business Analysis und Requirements Engineering. Prozesse und Produkte nachhaltig verbessern, Hanser, München 2. Auflage 2019, ISBN 978–3‑446–45589‑4
- /IREB21/ siehe /Pohl21/
- /Leffingwell10/ Dean Leffingwell: Agile Software Requirements. → Lean Requirements Practices for Teams, Programs, and the Enterprise, Addison-Wesley Professional, Boston, Massachusetts 2010, ISBN 978–0‑321–63584‑6
- /Leyton15/ Ryland Leyton: The Agile Business Analyst. Moving from Waterfall to Agile, Leyton Publishing, London 2015, ISBN 978–0‑692–48185‑1
- /Pichler22/ Roman Pichler: Strategize. Product Strategy and Product → Roadmap Practices for the Digital Age, Pichler Consulting, Wendover, Great Britain 2nd Editon 2022, ISBN 978–0‑9934992–4‑1
- /Pohl21/ auch /IREB21/ Klaus Pohl, Chris Rupp: Basiswissen Requirements Engineering. Aus- und Weiterbildung nach → IREB-→ Standard zum Certified Professional for Requirements Engineering Foundation Level, dpunkt, Heidelberg 5. Auflage 2021, ISBN 978–3‑86490–814‑9
- /Wirdemann17/ Ralf Wirdemann: Scrum mit User Stories, Hanser, München 3. Auflage 2017, ISBN 978–3‑446–45052‑3
A.3 Weblinks
Auf folgende Weblinks wird hier Bezug genommen:
- /IREB-Agile-24/, /#IREB-Agile-24/ IREB – International Requirements Engineering Board: Lehrplan / Syllabus zum CPRE Advanced Level RE@Agile, Version 2.2.0 vom Mai 2024 (deutsch, pdf-Datei, 42 Seiten)
- /IREB-Agile-→ Glossar-21/, /#IREB-Agile-Glossar-21/ IREB – International Requirements Engineering Board: RE@Agile Glossary, Version 1.0.5 vom Oktober 2021 (deutsch, englisch, pdf-Datei, 21 Seiten)
- /IREB-Agile-Handbuch-24/ IREB – International Requirements Engineering Board: Handbuch zum RE@Agile nach dem IREB-Standard, Version 2.1 vom Mai 2024 (deutsch, pdf-Datei, 131 Seiten)
- /Scrum-Guide-20/ Der Scrum Guide, Website mit dem aktuellen Scrum Guide (Kurzdarstellung von Ken Schwaber und Jeff Sutherland) in verschiedenen Sprachen, aktualisiert im November 2020
- /#Scrum-Guide-20‑e/ Der Scrum Guide (englisch), 14seitige Scrum-Kurzdarstellung von Ken Schwaber und Jeff Sutherland, aktualisiert im November 2020
- /#Scrum-Guide-20‑d/ Der Scrum Guide (deutsch), 19seitige Scrum-Kurzdarstellung von Ken Schwaber und Jeff Sutherland – deutsche Übersetzung, aktualisiert im November 2020
Legende zu den Weblinks
/ / Verweis auf eine Website (allgemein)
/*/ Verweis auf eine Website, die als Ergänzung zu einem Buch dient
/#/ Verweis auf ein einzelnes Thema auf einer Website
/#V/ Verweis auf ein Video auf einer Website
Letzte Aktualisierung: 10.04.2022 © Peterjohann Consulting, 2005–2024